Ein Zuhause für die Schnecke

© Marcus Simaitis

Essen ist den Menschen im Saarland wichtig. Das war schon immer so und wird hoffentlich auch so bleiben. Doch der etwas abgedroschene Ausdruck „Hauptsach gudd gess“ gibt nicht im Ansatz wieder, um was es den Saarländer*innen wirklich geht. Aber dazu später mehr.

Die gastronomische Landschaft im Saarland ist vielfältig, mit hoher Sternedichte einerseits, klassisch-gutbürgerlich andererseits, oft auch klein, Familien - oder Inhaber geführt. Die Gastronomen gehen mit Leidenschaft ans Werk und sind dabei stets herzlich und einladend. Das schmeckt man auch.

Und irgendwie ist man im Saarland „wetterfest“: Ob bei strahlendem Sonnenschein, bei Regen oder Schnee – zu fast jeder Jahreszeit sind die Höfe der Restaurants, Cafés und Bistros gut besucht. Wenn es in anderen Teilen der Republik die Gäste schon wieder nach drinnen zieht, sitzen die Menschen im Saarland entspannt auf ihren Stühlen und genießen ihre gemeinsame Zeit bei bestem Essen.

Einer dieser Menschen ist Holger Gettmann. Der 68-jährige Saarbrücker ist Vorsitzender des saarländischen Slow Food „Conviviums“. Das ist lateinisch und bedeutet so viel wie „Tischgesellschaft“. Die weltweite Organisation „Slow Food“ wurde in den 1980er Jahren als Gegenbewegung zu Fast Food gegründet und bemüht sich seither um eine regionale Küche, die Genuss und Nachhaltigkeit vereint und die Wertschätzung von eingesetzten Lebensmitteln und bewusstes Essen fördern will.

  • Im Interview: Holger Gettmann, Vorsitzender von Slow Food Saarland. © Marcus Simaitis

  • Im Interview: Holger Gettmann, Vorsitzender von Slow Food Saarland. © Marcus Simaitis

  • Im Interview: Holger Gettmann, Vorsitzender von Slow Food Saarland. © Marcus Simaitis

Erst einmal herzlichen Glückwunsch! Slow Food Deutschland feiert in diesem Jahr sein 30-jähriges Jubiläum. Das saarländische Convivium feiert seinen 20. Geburtstag.

Was ist Slow Food für dich?

Slow Food ist eine Initiative, die sich für Essen einsetzt, das gut, sauber und fair ist. In diesem einfachen Spruch ist eigentlich alles drin.

Was glaubst du, warum Essen die Menschen im Saarland so gerne? Warum ist ihnen Essen - gutes Essen - so wichtig?

Nun, da fallen mir gleich mehrere Gründe ein: Die Nähe zu Frankreich, bzw. dass wir hier mehrmals selbst französisch waren, ist sicherlich ein wichtiger Punkt. Die französische Kultur, in der Essen, Trinken und Genuss, aber auch ein hohes Maß an Gastfreundschaft, eine zentrale Rolle spielen, hat uns hier sehr geprägt. Darauf sind wir stolz, das leben wir Saarländer Tag für Tag.

Weshalb gutes Essen an sich hier wichtig ist, ist aber wohl auch darauf zurück zu führen, dass die Arbeit der Menschen im Saarland, die vorwiegend in Bergbau und Stahlindustrie beschäftigt waren, körperlich sehr anstrengend war. Daraus hat sich eine Küche entwickelt, die gut, deftig, einfach, günstig und oft kalorienreich war. Sie hat viel mit Kartoffeln zu tun, mit Mehlspeisen, mit Speck. Aber auch viel Gemüse aus den heimischen Gärten wurde in den saarländischen Küchen verarbeitet.

Welche Themen spielen denn für Slow Food Saarland eine große Rolle?

Wir versuchen zunächst einmal, möglichst viel Öffentlichkeit für das Thema Essen zu erzeugen. Das tun wir mit unseren Veranstaltungen, aber auch auf Social Media, im Internet und durch viel Networking. Das ist ein Bohren dicker Bretter und wir müssen uns da auch auf unsere Zielgruppen einstellen.

Wir machen uns da schon viele Gedanken, wie wir immer wieder neues Publikum ansprechen können. Trotzdem gibt es noch viel zu tun, um unsere Bewegung im Saarland bekannter zu machen und neue Mitglieder und Unterstützer zu gewinnen.

Es gibt ein paar Aktionen, die wir seit Jahren durchführen. Die Hülsenfrüchte-Wochen, die Bliesgau-Lamm-Wochen, die Glanrind-Wochen, die Fisch-Time sind einige davon. Ziel dieser Aktionen ist es, bestimmte regionale Lebensmittel in den Fokus zu rücken und den Menschen (wieder) näher zu bringen. Im Aktionszeitraum arbeiten wir mit Restaurants und Produzenten zusammen, machen Hofführungen, Betriebsbesichtigungen und Info-Veranstaltungen. Die vielen teilnehmenden Restaurants richten ihren Speisekarten während des Zeitraums auf das Lebensmittel aus und überlegen sich immer wieder tolle neue Kreationen, die die Menschen dann ansprechen sollen.

Bei den Hülsenfrüchte-Wochen zum Beispiel fing es an mit Linsen, von denen mittlerweile zehn Tonnen im Saarland angebaut werden. Jetzt kochen wir auch mit Bohnen und experimentieren mit Kichererbsen. Wir haben dabei das Glück, von der Expertise unseres Slow Food Mitgliedes Patric Bies von der Bliesgau Ölmühle profitieren zu können. Bei den Bliesgau Lammwochen ist es ähnlich. Die Lämmer wachsen in der Biosphäre auf und sind für diese auch ganz wichtig, weil sie die Weiden in Form halten. Zudem werden die Tiere vor Ort geschlachtet, es gibt keine riesen Transportwege. Die Restaurants und Konsumenten können oft vom Erzeuger direkt kaufen. Das ist natürlich für alle Beteiligten von Vorteil.

Eine ganz wichtige Idee dabei ist „nose-to-tail“, also die komplette Verwendung des Tieres, von der Zunge bis zum Schwanz. Wirklich alles - nicht nur Kotelett oder Lammlachse. Das ist dann natürlich für die Restaurants oder die Konsumenten eine gewisse Herausforderung, der sie sich aber auch wirklich stellen und tolle Gerichte kreieren. Einer der Glanrind-Züchter in unserem Convivium z. B., Markus Linn, der seine Tiere bei Hermeskeil aufzieht, bietet, nachdem er Tiere geschlachtet hat, Fleisch-Pakete an. In diesen sind dann viele verschiedene Stücke vom Glanrind drin. Aber nur so geht es. Und er verkauft viele dieser Pakete, wie er uns gesagt hat.

Wie hat sich deine Sichtweise auf die Welt der Lebensmittel durch deine Tätigkeit bei Slow Food verändert?

Die Wertschätzung für Essen habe ich irgendwo schon von meiner Oma, von der Tante und zu Hause so mitbekommen. Aber es hat sich im Laufe der Jahre verändert. Heute habe ich natürlich etwas mehr Durchblick, bin aber offen und nicht ideologisch verbohrt. Ich esse zum Beispiel gern Fleisch. Vielleicht auch häufiger als andere Leute. Aber ich möchte immer wissen und weiß es auch, wo es herkommt. Da achte ich schon sehr auf eine gute Haltung und Qualität.

Was macht gutes und bewusstes Essen in deinen Augen aus?

Ein kluger Mensch hat mal gesagt: „Essen Sie nichts, was Ihre Großmutter nicht als Essen erkannt hätte.“ Das ist ein weiser Satz.

Leider haben die Menschen immer weniger Zeit, gut einzukaufen und zu kochen. Oder zumindest nehmen sie sich weniger Zeit. Convenience-Produkte sind bequem und überall verfügbar. Darin sind viele Zutaten, Konservierungs- und Zusatzstoffe, die wir gar nicht essen möchten und über die wir auch nichts wissen. Und auch in so mancher Gastronomie haben verarbeitete Produkte Einzug gehalten. Das finden wir von Slow Food nicht gut und solche Restaurants werden von uns nicht empfohlen. „Selber machen“ ist die Devise - ob zuhause oder im Restaurant - denn nur dann können wir auch sicher sein, was drin ist.

Apropos „Selber machen“: Wir bieten im September gemeinsam mit dem Landhaus Spanier in Nonnweiler einen Kurs an, der sich „Vom Beet ins Glas“ nennt. Hier lernt man, was Oma noch wusste. Anja Faust-Spanier ist sehr bewandert in Techniken zur Konservierung und so wird eingeweckt, was das Zeug hält. Das Interesse ist groß, wir haben schon einige Anmeldungen, obwohl es noch ein bisschen hin ist.

Gutes Essen ist einen gewissen Preis wert. Würdest du zustimmen ?

Gute Lebensmittel haben einen gewissen Preis, ja. Das fängt ja schon bei der Bezahlung der Arbeiter auf dem Feld an, die müssen auch etwas verdienen können. Bei der Verarbeitung oder im Restaurant geht es weiter mit den Löhnen, dann kommt der Handel. Auch Corona hat in vielen Bereichen Spuren hinterlassen. Viele Menschen sind aus der Branche abgewandert, es fehlen Köche und Restaurantfachleute. Im Prinzip müssen die Gastronomen viel mehr Geld ausgeben als vorher, um ihre Mitarbeitenden zu halten und vernünftig zu bezahlen. Daran wird sich kurzfristig nichts ändern, das braucht seine Zeit, bis wieder ein Gleichgewicht hergestellt ist.

Also müssen im Grunde die Preise steigen. Das tun sie ja in allen Bereichen. Man muss abwarten, wie alle das wegstecken können. Gottseidank sind viele Betriebe alt eingesessen und werden auch diese Situation meistern. Und wenn jemandem Essen was wert ist, dann doch dem Saarländer?

Wie kann unser Essen denn „Besser, sauberer und fairer“ werden?

Ich glaube, dass es eine Auswirkung auf die politische oder wirtschaftspolitische Entwicklung gibt, wenn mehr Leute anfangen, bewusster zu essen und sich für Produkte aus der Region entscheiden. Das führt dazu, dass beispielsweise Landwirte die Chance haben, ihre Produkte auch mal im Direktvertrieb zu verkaufen und nicht über große Handelsunternehmen.

Slow Food arbeitet stetig daran, die Lage transparenter zu machen und die Akteure zu vernetzen. So haben wir auf unserer Website unter slowfood.de/Saarland eine Karte, auf der teilnehmende Restaurants, Produzenten, Geschäfte und Unternehmen verzeichnet sind, die regionale Produkte vermarkten, verarbeiten oder verkaufen. Hieran arbeiten wir weiter. Und dann gibt es ja auch den „Genussführer Saarland“, in dem Restaurants erfasst sind, die wir empfehlen.

Unsere Mitglieder und Unterstützer engagieren sich für die Slow Food Idee und tragen so dazu bei, dass mehr gute Lebensmittel im Saarland und Teilen von Rheinland-Pfalz produziert, vermarktet und verarbeitet werden und auf den Tellern der Menschen landen. Unser Mitglied Marc Rosengarten produziert auf seinem Forellengut Rosengarten bei Saarburg z.B. Süßwasser-Fische auf höchstem Niveau - und das nachhaltig und ohne den Einsatz von Antibiotika. Er vermarktet über seinen Hofladen, Einkaufsmärkte im Umkreis, über Lebensmittel-Automaten und demnächst über einen Online-Shop. Darüber hinaus gehören viele Restaurants in der Region zu seinen Kunden. Das sagt doch alles. Ist das nicht wunderbar?

Wir haben im Südwesten übrigens einen hervorragenden Standortvorteil im Vergleich zu anderen Regionen in Deutschland. Hier gibt es nämlich eine wesentlich kleinteiligere Landwirtschaft, als z. B. in der Mitte oder im Norden Deutschlands. Bei uns im Saarland gibt es noch viele kleine Betriebe, die zum Teil in ihren Hofläden oder auf Wochenmärkten verkaufen. Das war mir auch lang nicht klar.

Die regionale Initiative „Ebbes von hei“, mit der wir auch kooperieren, vermarktet z. B. Produkte von Landwirten und Produzenten aus der Region Saarland und Rheinland-Pfalz - mit gutem Erfolg.

Mal ganz plump gefragt: Was ist so schlecht daran, die Lebensmittel im Discounter zu kaufen?

Naja, im Discounter sollen die Lebensmittel ja zunächst mal Eines sein: Billig. Und dann soll Alles gleich aussehen und am besten auch noch alle Produkte ganzjährig verfügbar sein.

D. h. wir bekommen dort Produkte aus Massenerzeugung. Egal, ob es um tierische Produkte, Getreide oder Obst und Gemüse geht. Die Lebensmittel werden mit Stoffen behandelt, die uns und der Umwelt nicht gut tun. Dabei geht es um Antibiotika, Hormone, Pharmazeutika, Insektizide, Pestizide etc., von denen wir nicht wissen, was sie auf lange Sicht anrichten. Die genetische Vielfalt ist bedroht weil nur noch sehr wenige Rassen und Sorten in dieser industriellen Massenproduktion Verwendung finden. Und die Artenvielfalt ist massiv gefährdet, weil der natürliche Lebensraum von Lebewesen, auch aufgrund der großen Agrarflächen, zerstört wird.

Wir möchten z. B. auch mit unserer „Arche des guten Geschmacks“ wieder alte, seltene Rassen und Sorten fördern, die aus unserer Region, oder zumindest aus Deutschland stammen. Dazu haben wir ein Kartoffel-Projekt ins Leben gerufen, bei dem einzelne Flächen wieder mit alten Kartoffel-Sorten bestellt werden. Auch mit Bohnen gibt es diese Initiative. Und mit einer jährlich stattfindenden Samen-Tauschbörse, die im Wesentlichen von Nicole Schuh, die sich nicht umsonst „Saatgut-Aktivistin“ nennt, organisiert wird, wollen wir erreichen, dass alte, längst vergessene Sorten wieder mehr im eigenen Nutzgarten angebaut werden. Das war früher total selbstverständlich, dass jeder einen eigenen Gemüsegarten hinter dem Haus hatte.

Es geht bei unseren Bemühungen rund um die alten Sorten und Rassen nicht nur um den guten Geschmack, sondern um die Bewahrung der genetischen Vielfalt, um Resilienz vor Schädlingen etc. Wir haben da Verbindungen zu einigen Leuten mit einem beeindruckenden Wissens- und Samen-Schatz. Das finden wir in diesen Zeiten enorm wichtig.

Kann die Slow Food Initiative den aktuellen globalen Herausforderungen, wie zum Beispiel der Klimakrise, etwas entgegen setzen?

Ja, das denke ich definitiv. Wer sich an dem Kompass „Gut. Sauber. Fair.“ orientiert, hat einen guten Wegweiser. Mehr regional produziertes, saisonales Essen heißt: Weniger Transport, weniger Verpackung, weniger Energie, weniger CO2, um nur mal ein paar Beispiele zu nennen.

Und genau da hat auch wirklich Jede(r) die Chance, etwas zu verändern und mitzumachen. Jede(r) nach seiner Façon, nach seiner Zeit, seinem Geldbeutel. Das finde ich auch wichtig, mal zu sagen. Man kann mit vielen kleinen Schritten viel bewegen.

Mal provokativ gefragt: Wann ist denn der von Slow Food definierte Auftrag beendet?

Unser Ziel ist es, dem Genuss mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Slow Food hat ja was mit Tempo zu tun. Will sagen, dass wir uns im Hinblick auf das Essen entschleunigen. Das fängt beim Besorgen der Produkte an, geht weiter beim Vorbereiten, beim Kochen, und findet beim Essen selber seinen Höhepunkt.

Diese Entschleunigung bei der Ernährung ist ein Prozess, und dieser Prozess läuft, während sich die Umwelt verändert. Wir haben also stetig neue Herausforderungen. Veränderungen wird es geben, solange wir leben. Und so lange ist der Auftrag von Slow Food auch noch nicht erfüllt.

Im Saarland aber kann man sich sicher sein, wo es gutes Essen gibt: Das Tier im Logo von Slow Food ziert so manche Türen von Restaurants und Genuss-Guides.

Im kleinen grünen Bundesland im Südwesten Deutschlands liegt es also sicherlich: Das Zuhause für die Schnecke.

geschrieben von: erik, am 20.09.2022

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