Was wir säen, das ernten wir.
Das Wissen um alte Pflanzenarten und –sorten und viele regionale Nutztierrassen geht immer mehr verloren. Viele der früher vielseitig genutzten Tierrassen sind bereits ausgestorben oder akut vom Aussterben bedroht. Die Gründe, wieso dem so ist, liegen auf der Hand. Durch die Industrialisierung und Technisierung der Landwirtschaft fand ein grundlegender Strukturwandel statt. Die Selbstversorgung entwickelte sich hin zu einer Marktversorgung, dabei stand die Ertrags- und Gewinnmaximierung im Fokus.
Um hohe Erträge zu erzielen, sät man möglichst nur die Pflanzen, welche resistent gegen Schädlingserreger und Krankheiten sind. Dies führte zu einer Zunahme von Monokulturen und in der Folge zu einem Rückgang der Biodiversität. Die industriell verwendeten Sorten verdrängten somit die alten Getreidearten und Gemüsepflanzen - sie landen dadurch weniger auf unseren Tellern. Und die so wichtige Vielfalt verschwindet immer mehr.
Ich möchte euch jemanden aus dem Saarland vorstellen, die sich dieser Entwicklung bewusst entgegenstellt. Hierbei handelt es sich um Nicole Schuh.

Das Bewusstsein für die Natur wurde ihr schon früh in die Wiege gelegt. Von klein auf nahm ihre Oma sie mit in ihr Refugium: den Selbstversorgergarten. Das war einer Parzelle, die man Familien mit vielen Kindern früher zuteilte.
Samen retten
Nicole ist als Kind gerne durch den Garten gestreift, hat Samen in die Erde gesteckt und begeistert zugeschaut, wenn daraus eine prächtige Pflanze wuchs. Je älter Nicole wurde, umso tatkräftiger hat sie mit angepackt. Ihre Begeisterung für Samen, die Vielfalt der Natur, alte Sorten und die Wunder der Natur war mehr als geweckt. Folgerichtig folgte eine Ausbildung im Gartenbau und ihr wundervolles, fruchtbares Refugium mit überwiegend alten Sorten, in Permakultur angelegt, entstand. Jedes Fleckchen in Nicole Schuh`s Garten wird heute genutzt, sei es im Gemüsebeet, Gewächshaus, Hochbeet oder die Obstbäume.
Damit verbunden setzte sich Nicole auch mit den Problemstellungen des Gartenbaus auseinander: Wieso gibt es im Handel nur wenige und auch immer dieselben Sorten von Samen? Wo ist nur diese Vielzahl alter Sorten geblieben, die für die gesunde Vielfalt auf unseren Tellern sorgt? Sie suchte nach Antworten.
Eine grundlegende Antwort ist diese: Innerhalb der Europäischen Union darf nur Saatgut zugelassener Pflanzensorten vermarktet werden. Und eine Sorte wird nur dann zugelassen, wenn sie homogen, unterscheidbar und beständig ist, einen landeskulturellen Wert besitzt und ihr Name eintragbar ist. Dadurch gibt es etliche Kriterien, die so ein Samen erfüllen muss, klärt mich Nicole Schuh auf.
Für die Prüfung und die Zulassung von Sorten ist das Bundessortenamt zuständig. Es geht um Farbe, Form, Schale, Oberflächenbeschaffenheit, Konsistenz und um die genetische Reinheit.
Alte Sorten können diese Uniformität und Homogenität aufgrund ihres vielfältigen Erbmaterials oft nicht erfüllen und fallen dann durch das gesetzlich festgelegte Raster. Zusätzlich verbietet das Saatgutvermarktungsgesez in vielen Ländern den Verkauf oder sogar die Weitergabe von nicht-zertifiziertem Saatgut. Damit sollen Standards gewahrt bleiben und ein hoher kommerzieller Ertrag unter industriellen Anbaubedingungen gewährleistet werden, führt Nicole weiter aus.
Das Aussterben der Artenvielfalt
Etliche Kulturpflanzen sind dadurch unwiederbringlich ausgestorben. Wir sollten unser Bewusstsein schärfen, rät Nicole. Die so von Menschen festgelegte künstliche Verknappung beschneidet unsere traditionelle Ernährungsweise. Durch Gesetzgebungen entstanden so Sorten, sogenannte F1-Hybriden, die nicht mehr vermehrungsfähig sind oder nach erneuter - dann illegaler Vermehrung - keinen Ertrag mehr erbringen.
Wir erleben ein Aussterben der Artenvielfalt in den Gärten und auf den Feldern in unglaublichem Ausmaß. Ich setze mich in vielen Netzwerken wie Slowfood Saarland gezielt dafür ein, dass die Vielfalt eben nicht verschwindet. Wichtiges Beispiel: Mein Garten. Ich baue ganz bewusst klassische alte Arten an, um zu deren Erhalt beizutragen, führt Nicole aus.
Bohnenland Saarland
Im ganzheitlichen Prinzip der Permakultur stehen in Nicoles Garten naturnahe und geschlossene Kreisläufe sowie die Berücksichtigung aller Funktionen einzelner Elemente im Vordergrund. Ihr kommt es auf die richtigen Samen an. So kommt die Bohne „Ruhm im Vorgebire“ nicht ohne Grund in ihre Erde. Das Saarland war früher schließlich ein Bohnenland. In Lautzkirchen standen einst 20.000 Bohnenstangen und deren Ertrag trug im Wesentlichen zum Lebensunterhalt der Lautzkirchener bei. Es gab opulente Festumzüge in dieser Zeit und man kürte gar eine Bohnenkönigin. So ab 1950 nahm der Anbau dann stark ab, das hatte wirtschaftliche und soziale Gründe. Dadurch verschwanden sie dann aus dem Saarland, die alten Bohnensorten.
Dank Historikern und dank gezielter Suche ist es uns geglückt, Samen der Bohne "Rum vom Vorgebirge" zu finden. Mittlerweile baue nicht nur ich sie an. Wir sind rund 60 Menschen im Saatgut-Erhalterkreis „Rum vom Vorgebirge", berichtet Nicole Schuh
Auf den richtigen Samen kommt es an
Nicole lehnt Einheitsgeschmack ab und schätzt die Geschmacksvielfalt. Samentüten, die F1- Hybride enthalten, lehnt sie ab. Diese eignen sich definitiv nicht für die Samen-Ernte. Sie enthalten in der Regel eine Kreuzung aus zwei verwandten Sorten. Diese garantiert im ersten Jahr einen guten Ertrag. Allerdings keimt das Saatgut in der Folge schlecht und ist dadurch für eine Nachzucht nicht geeignet. Somit folgt mit dem Samen bereits im zweiten Anbaujahr ein niedriger Ertrag.
Wie erhält Nicole die Samen?
Zunächst schaut Nicole bei der Bohnenpflanze, dass die Bohnenhülse gut aussieht, denn diese bleibt hängen bis sie völlig vertrocknet ist. Erst grün, dann gelb bräunlich. Wenn sie rascheln, sind sie trocken und werden geerntet. Im Zimmer werden sie ein paar Tage weiter getrocknet. Damit kein Bohnenkäfer kommt, durchlöscht sie sie vorab mit Wasser und dann kommen sie für kurze Zeit ins Gefrierfach. Anschließend kommen sie ins verschlossene Glas. Im Mai hat sie dann im Glas das fertige Erbgut: die Samen.
Nicole gerät ins Schwärmen. Die Bohne "Ruhm vom Vorgebirge" schmeckt leicht nussig, sie ist eine Körnerbohne und sehr gut geeignet für den traditionellen weißen Bohnentopf. Super lagerfähig, sie wird nicht schrumpelig, sie braucht kein Dünger und sie verträgt sich gut mit Kohl. Innerhalb von zwei bis drei Jahren verdoppeln wir den Ertrag.
Netzwerk gegen Klimawandel
Wer einen Garten sein Eigen nennt und bei der Bohnenaktion bzw. im Saatgut-Netzwerk mitmachen möchte oder Fragen hat, kann sich gerne an Nicole Schuh wenden. Das Netzwerk unterstützt auch über Fotos per Ferndiagnose. Nicoles Lieblinge sind auch ihre Tomatensamen. Sie besitzt rund 250 Sorten mit unterschiedlichen Geschmacksrichtungen. Vernünftiges Saatgut, wie sie die Samen liebevoll nennt. Alle fünf Jahre muss übrigens jede Sorte in die Erde, damit sie ohne Verluste keimfähig bleiben.

Nicole Schuh ist an vielen Projekten im Saarland beteiligt, vermehrt nicht nur Bohnen, sondern auch Linsen gemeinsam mit Patric Bies von der Bliesgau-Ölmühle. Viele Kindergärten und Schulen legen Gärten mit ihrem Saatgut an. Sie organisiert Samenbörsen und für Slowfood nahm sie am Weltkongress in Turin teil. Nun aber noch schnell folgende Geschichte von Nicole Schuh.
Ihr Glückstreffer
Unweit von meinem Garten, so Nicole, steht ein Haus.
Lange Zeit unbewohnt, zog in das Haus ein junges Ehepaar ein.
Eines Tages klingelte es bei ihr.
Sie standen vor mir und schenkten mir eine Blechdose.
Das junge Ehepaar war der Meinung, ich hätte bestimmt am Meisten davon. Ich öffnete vorsichtig die Blechdose und traute meinen Augen nicht. Unfassbar. Darin waren Samenpäckchen von 1979 bis 1987.
Ein Lotteriespiel begann.
Bis auf zwei Sorten keimten alle dann.
Und mein Herz hüpfte ständig vor Freude, den unterschiedlichen alten Samen sei Dank.
Dem Engagement von Nicole Schuh, vielen HobbygärtnerInnen, LandwirtInnen und auf alte Sorten spezialisierter Sämereien verdanken wir, dass eine große Vielfalt unterschiedlicher Gemüsesorten bis heute erhalten bleiben. Ganz herzlich lädt uns übrigens auch wieder Slowfood Saarland zu den Hülsefrüchtewochen ein.
Großartig, allen insbesondere Ihnen Nicole Schuh, vielen lieben Dank!
Der Saarländische Rundfunk war ebenso zu Besuch bei Frau Schuh den Beitrag könnt ihr hier hören: SR.de: Zwei Saarländerinnen bewahren alte Gemüsesorten